1100 Jahre Prümer Urbar und die Ersterwähnung von Trittenheim

Gastbeitrag von Dr. Reiner Nolden (Trier):

Die Normannenüberfälle der Jahre 882 und 892 waren für die geistlichen Institutionen des Rheinlandes im wahrsten Sinne des Wortes verheerend - Menschen wurden erschlagen, Häuser, Ställe und Vorräte verbrannt, Kostbarkeiten wurden verschleppt, Handschriften und Urkunden vernichtet.

Regino von Prüm, Abt des Klosters von 892-899, berichtet in seiner Chronik ausführlich über diese Vorfälle:

Im Jahr der göttlichen Menschwerdung 882 dringen sie bei einem Streifzug durch die Ardennen gerade am Tage der Erscheinung des Herren (6. Jan.) in das Kloster Prüm ein, wo sie sich drei Tage aufhalten und die ganze umliegende Gegend ausplündern. In diesem Landstrich sammelt sich eine unzählige Menge Fußvolk von den Äckern und Landgütern in einem Haufen und rückt wie zum Kampfe gegen jene vor. Aber als die Normannen dieses Bauernvolk nicht sowohl waffenlos als vielmehr von aller Kriegszucht entblößt sahen, fielen sie mit Geschrei über sie her und streckten sie unter einem solchen Gemetzel nieder, daß unvernünftiges Vieh, nicht Menschen geschlachtet zu werden schienen. Nachdem dies vollbracht war, kehrten sie beutebeladen in ihre Lager zurück. Als sie abzogen, verzehrte das Feuer, welches in verschiedenen Gebäuden brennend zurückgeblieben war, das Kloster, weil niemand zum Löschen da vor.

Zum Jahre 892 schreibt Regino:

Im Jahre 892 ... kamen sie bis nach Bonn. Als sie von dort abzogen, besetzten sie Lannesdorf ... Bei Einbruch der Nacht verließen die Normannen das genannte Dorf und, weil sie einen feindlichen Angriff fürchteten, wagten sie durchaus nicht, sich der Ebene und den offenen Feldern anzuvertrauen, sondern sie hielten sich beständig in den Wäldern, ließen das Heer links im Rücken und richteten ihren Marsch mit der größtmöglichen Geschwindigkeit nach dem Kloster Prüm; kaum entwichen der Abt und die Brüderschar durch die Flucht, als jene bereits hereinstürmten. Als aber die Normannen das Kloster betraten, verwüsteten die alles, töteten einige von den Mönchen, erschlugen den größten Teil der Klosterfamilie und führten die übrigen als Gefangene fort.

Trotz dieser Katastrophen ist es den Prümer Mönchen aber gelungen, neben Handschriften und sonstigen Kostbarkeiten auch ihre Urkundenschätze vor der Vernichtung zu bewahren. Allerdings war ihnen bewußt geworden, daß sie so Gefährdetes sichern und in schriftlicher Form festhalten mußten. Noch unter Reginos Abbatiat unternahmen sie auf zwei Gebieten dazu große Anstrengungen: zum einen sammelten sie noch im Jahre 893 die nötigen Informationen zur Niederschrift des Prümer Urbars, dessen 1100jähriges Bestehen im Jahre 1993 vielerorts gefeiert wurde und auf das weiter unten zurückzukommen ist, zum anderen begannen sie, die seit der Gründung 721 in dichter Folge überlieferten Urkunden in abschriftlicher Form in einem Kopiar festzuhalten; dieses wuchs in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts auf 56 Blätter. Mehrere Hände aus dem ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jahrhundert haben dann weitere Urkundenabschriften gefertigt und Namenlisten sowie annalistische Notizen hinzugefügt, ehe zu Beginn des 12. Jahrhunderts die so entstandene Handschrift mit einem kupfervergoldeten Deckel versehen wurde, woher der erst in der frühen Neuzeit auftauchende Name "Goldenes Buch" (Liber aureus Prumiensis) herrührt. Dieses Goldene Buch enthält die bedeutendste Sammlung karolingischer Urkunden für das Rheinland und weit darüber hinaus.

Zurück zum Prümer Urbar. Wie oben erwähnt, machten sich die Mönche bereits im Jahre 893, also im folgenden Jahr nach dem zweiten Normannenüberfall daran, ihren damaligen Besitzstand aufzuzeichnen; um ihre tatsächlich bestehenden Rechte und Einkünfte an den einzelnen Orten auch in schriftlicher Form festzuhalten. Dazu sandten sie mehrere Kommissionen in die Gebiete, in denen ihre Besitzungen lagen - in die niederen Lande um Arnheim und Voorst, rheinaufwärts über Duisburg, die untere Lahngegend bis zur Neckarmündung am Mittelrhein (Altrip, Neckarsau, Rheingönheim, Dienheim), entlang der Maas von der Lütticher Gegend (Awans) bis R‚vin und schließlich zu den Salzpfannen in und um Vic-sur-Seille. Der Schwerpunkt ihrer Besitzungen lag allerdings in der Eifel südlich Prüm und im Raum Münstereifel. Lediglich ihre Besitzungen in West- und Nordfrankreich sind bei dieser Inventarisierung nicht berücksichtigt worden. Ingo Schwab hat uns in seiner grundlegenden Edition aus dem Jahre 1983 einleuchtend über die Arbeit der Kommissionen in Kenntnis gesetzt.

Das Prümer Urbar enthält in 118 Kapiteln die Aufzeichnungen der beauftragten Mönche über den zeitigen Besitzstand. Viele Orte, die uns bereits aus der urkundlichen Überlieferung bekannt sind, erscheinen wieder - nicht mehr genannte Orte dürften verlorengegangen sein. Aber nicht nur die altbekannten Orte tauchen wieder auf, sondern - meistens in ihrer unmittelbaren Umgebung - werden bislang unbekannte Namen von Orten erwähnt, die wohl meist im Zuge des Landesausbaus in der Karolingerzeit entstanden sind. Auf diese Weise enthält das Prümer Urbar von 893 mehr als 150 Ortsnamen, in denen erstmals Prümer Besitz begegnet, ja die meisten Orte werden hier überhaupt zum ersten Male in der schriftlichen Überlieferung genannt.

Der Text von 893 ist heute nicht mehr im Original überliefert, sondern in einer mit ausführlichem Kommentar versehenen Abschrift, die im Jahre 1222 durch den Prümer Ex- Abt Caesarius von Milendonk, Mönch zu Heisterbach, gefertigt worden ist. Am Text von 893 und am weit jüngeren Kommentar kann man beispielhaft die Entwicklung der Prümer Besitzungen über mehr als 300 Jahre verfolgen; das Prümer Urbar ist damit eine der wichtigsten Quellen zur Erforschung der mittelalterlichen Grundherrschaft im Linksrheinischen, also in den Gebieten, die einst unter römischer Herrschaft gestanden hatten. Aus diesem Grunde hat es bereits Generationen von Forschern beschäftigt, die sich neuerdings - wie oben gesagt - erstmals auf eine verläßliche Textedition stützen können. Daneben war eine Übersetzung des lateinischen Originaltextes ein seit Jahren verlangtes Desiderat. Dieser mühevollen Aufgabe hat sich Pfarrer Nikolaus Nösges unterzogen, dessen Übersetzung im Jubiläumsjahr 1993 im Rahmen einer Festschrift vom "Geschichtsverein Prümer Land" herausgegeben wurde.

Das Prümer Urbar enthält insgesamt mehr als 400 Ortsnamen; unter den zum ersten Mal in der schriftlichen Überlieferung genannten Orten befindet sich auch Trittenheim.

Um diese Ersterwähnung Trittenheims im Urbar verstehen zu können, müssen wir nochmals weit in die Geschichte der Prümer Abtei zurückschauen. In den Jahren 752 und 762 nämlich schenkte der Wiederbegründer der Abtei, Karls des Großen Vater Pippin, den Mönchen zwei bedeutende Orte an der Mosel, die u. a. zur Weinversorgung der Abtei (Meßwein!) beitragen sollten - Mehring und Schweich. Der Besitz dieser Orte wurde dann in der Folgezeit mehrfach bestätigt, ohne daß sich aus diesen Urkunden etwas über die Struktur dieser Besitzungen gewinnen ließe. Erst das Prümer Urbar von 893 gibt uns hierin sichere Einblicke.

Neben Mehring und Schweich werden im Urbar in der näheren Umgebung folgende Orte genannt: Föhren, "Salmen", Klüsserath, Trittenheim, Schleidweiler, Zemmer, Rivenich, Thörnich, Ensch sowie Lörsch; der Landesausbau zwischen dem beginnenden 7. und dem ausgehenden 8. Jahrhundert hatte offensichtlich bedeutende Fortschritte gemacht. Zu Trittenheim, das zusammen mit Klüsserath genannt wird, enthält das Urbar folgende Mitteilungen (selbstverständlich in lateinischer Sprache):

De Clutterche et Trittenheym, Inter Clutterche et Trittenheym sunt mansa XXIIII. Ex his sunt indominicata X et VII. Sunt ibi picture XXI et vinee V et ex his tenemus picturas XVII, alie enim sunt in beneficium. Ex his predictis mansis tenet Tietfridus I, solvit de vino modios XIII et dimidium, garbas II, faculas X; pullos III, ova XV; angariam inter III.

Zu einem zweiten Trittenheim, unter dem man wohl das Trittenheimer Dhrönchen auf dem rechten Moselufer zu verstehen hat, vermerkt das Urbar:

De alio Trittenheym, Sunt etiam in alio Trittenheym, quam dedit Albricus, mansa XX, ex his habet Hadeboldus I, solvit de vino ... et friskingam vercennam cum lana valente denarios XII in uno anno; in altero anno denarios VIII; pullos III, ova XV; de lino clauns III, de lino semine bacinum I; daurastuvas V; in angaria inter III carradam I. Haistaldus de vino modios V. Si in aliam potestatem mansum acceperit aut feminam, solvit denarios XII, et si femina forinsecum hominem acceperit, solvit pullos II, ova X et de lino clauns II et de lino semine bacinum I. Est in Nouium mansus I, qui similiter servit ut ceteri.

In der Übersetzung lautet die Passage über die beiden Trittenheim:

Über Klüsserath und Trittenheim. In Klüsserath und Trittenheim sind 24 Mansen (Bauernstelle, die eine Familie ernähren konnte), von diesen sind 17 Herrenmansen (d. h. sie stehen unter Eigenbewirtschaftung durch die Abtei). Es gibt dort 21 Pichter und fünf Weingärten, von diesen halten wir 17 Pichter, die anderen sind zu Lehen vergeben. Von den vorgenannten Mansen hält Tietfried einen, an Wein gibt er 13 Maß und ein halbes, zwei Garben, zehn Fackeln, drei Hühner und 15 Eier, zu vier Mansen eine Engerfahrt (Transportfahrt nach Prüm).

Über das andere Trittenheim. Im anderen Trittenheim, das uns Albricus geschenkt hat, sind 20 Mansen; von diesen hält Hadebold einen, an Wein gibt er (Lücke im Text) und ein Lamm mit der Wolle im Werte von 12 Denaren im einen Jahr; im anderen Jahr acht Denare, drei Hühner und 15 Eier; drei Knäuel Flachs, eine Schüssel Leinsamen, fünf Lohbündel; zu vier Mansen eine Engerfahrt mit einem Wagen. Jeder Haistalde (Hagestolz; unverheirateter Mann ohne Mansenbesitz) gibt fünf Maß Wein. Wenn er in einer anderen Herrschaft einen Mansus erhält oder eine Frau heiratet, gibt er 12 Denare; wenn eine Frau einen auswärtigen Mann heiratet, gibt sie zwei Hühner und zehn Eier sowie zwei Knäuel Flachs und eine Schüssel Leinsamen. In Neumagen ist ein Mansus, der die gleichen Abgaben und Dienste leistet wie die übrigen.

Soweit der Text des Jahres 893, der bei aller Kürze tiefe Einblicke in wirtschaftliche und soziale Verhältnisse des frühen Mittelalters gibt. Zum einen wird die grundherrschaftliche Struktur mit ihrem System von Diensten und Abgaben ersichtlich, zum anderen ermöglicht gerade der Text über Trittenheim Einblicke in rechtliche Gebundenheiten und Abhängigkeiten von Mitgliedern der bereits oben erwähnten Prümer Klosterfamilie.

Als nach mehr als 300 Jahren im Jahre 1222 Ex-Abt Caesarius nicht nur das "Alte Buch" von 893 wortgetreu abschreibt, sondern es auch mit einem Kommentar versieht und damit den Ist-Zustand seiner Zeit wiedergibt, haben sich die Verhältnisse grundlegend geändert:

Clutterche et Trittenheym comes Vienne tenet in feodo; und an anderer Stelle: Predictus enim comes tenet ab ecclesia curiam de Clutterche et curiam de Trittenheym et item Trittenheym, curiam I in Sueyge etc.

Klüsserath und Trittenheim hat der Graf von Vianden zu Lehen; und: Der vorgenannte Graf hat von der Kirche (d. h. der Abtei Prüm) den Hof in Klüsserath und den Hof in Trittenheim und das andere Trittenheim zu Lehen, ferner einen Hof in Schweich usw.

Im weiteren Verlauf des Textes erklärt Caesarius diese und viele andere Verlehnungen an den Grafen von Vianden mit dessen Vogtdienst gegenüber der Abtei, d. h. er muß die Prümer Kirche und die davon abhängigen Leute nach Kräften vor Eindringlingen und aller Gewalt bewahren und muß ihnen "unter seinen Flügeln Schutz und getreue Hilfe gewähren".

Die Verlehnung kirchlichen Besitzes an einen weltlichen Herren hat in Trittenheim wie an vielen anderen Orten dazu geführt, daß in der Folgezeit der Besitz der Abtei immer mehr entfremdet wurde, so daß Prüm in der späteren Geschichte Trittenheims keine Rolle mehr gespielt hat. Das Prümer Urbar hat uns jedoch für das frühe und hohe Mittelalter einen ausschnittartigen Einblick in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des kleinen Moselortes Trittenheim ermöglicht und so für uns das Leben unserer Vorfahren ein wenig erhellt.

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Quellen und Literatur:

Rheinische Urbare 5. Band: Das Prümer Urbar. Hrsg. von Ingo Schwab. Düsseldorf 1983. (=Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; 20).
Matthias Willwersch, Die Grundherrschaft des Klosters Prüm. Hrsg. von Ingo Schwab und Reiner Nolden. Trier 1989. Zugleich Diss. Berlin 1912.

Nikolaus Nösges, Übersetzung des Prümer Urbars und Kommentar. In: Anno verbi incarnati DCCCXCIII conscriptum (wie unten). - S. -

Anno verbi incarnati DCCCXCIII conscriptum. 1100 Jahre Prümer Urbar. Festschrift im Auftrag des Geschichtsvereins "Prümer Land" herausgegeben von Reiner Nolden. Trier 1993.
Franz Irsigler, Mehring - ein Prümer Weinort vor 900 Jahren. In: Die Karolinger als Stammväter Europas. Hrsg. von Günter Gehl. Weimar 1995. (=Historie und Politik; 4).

Wir Maximilian von Gottes gnaden

Es brauchte einen Kaiser, um die an Rechtstraditionen festhaltenden Trittenheimer 1497 zur Rechtsauffassung des Landesherrn zu bewegen. Was die Hintergründe für das Eingreifen Kaiser Maximilians waren und in welchem Rechtzusammenhang Trittenheim im Mittelalter bestand, das illustriert der Gastbeitrag von Marlene Nikolay-Panter (ehemalige Dozentin am früheren Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande).