Jüdische Geschichte

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Trittenheim spiegelt sich wider in einerseits in schriftlichen Zeugnissen, aber auch in den Orten des jüdischen Friedhofs und dem Standort der einstigen Synagoge. Die Geschichte einer Synagoge ist mit der Mitte des 19. Jahrhundert verbunden. Der Jüdische Friedhof hat demgegenüber nur eine kurze Geschichte und wurde zwischen 1896 und 1940 zur Bestattung genutzt. Seine Grabsteine erinnern an Familien, die über mehrere Generationen hier lebten, von denen manche flüchteten, andere aber in der Shoah getötet wurden.
Die Trittenheimer jüdische Gemeinde ist Teil einer im größeren Zusammenhang zu sehenden Geschichte der Juden; daher lohnt sich eine Lektüre der Seite der Alemannia judaica.

Erinnerungen an das eigene Fremde

Annäherungen an die Geschichte des Landjudentums in Trittenheim1

Von Christoph Schmitt, Calw

 

Erinnerungen an das eigene Fremde - unter diesen Titel stelle ich meine Annäherungen an die Geschichte des Landjudentums. Diese Annäherung soll erfolgen am Beispiel der einstigen jüdischen Gemeinschaft, die während etwa zweieinhalb Jahrhunderten in Trittenheim existierte. Doch warum macht es überhaupt Sinn, sich mit Erinnerungen an Vergangenes zu beschäftigen? Hierzu möchte ich einige kurze Anmerkungen geben.

Vorbemerkungen

"Erinnerungen an das eigene Fremde": Der Titel klingt ungewohnt und sperrig und er beinhaltet eine zugegeben gewagte Begrifflichkeit.

Erinnerungen: Wenn jemand verspricht, Erinnerungen wiederzugeben, so erwartet man gewöhnlich, dass er auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen kann. Erfahrungen beziehen sich ihrerseits auf zurückliegende Ereignisse und bilden eine persönliche Geschichte. Angesichts der Tatsache, dass wir im Jahre 2000 auf deutlich mehr als ein halbes Jahrhundert nach Beginn der Shoah zurückblicken, entstehen Zweifel, wie ein jüngerer Referent hier von Erinnerungen sprechen kann. Wäre es nicht angemessener, nur von den Ergebnissen seines Recherchierens zu sprechen?

Diesem möglichen Einwurf könnte man mit Ja antworten, doch das Beharren auf dem Begriff hat sein eigenes Recht. In der Tat habe ich die Ergebnisse meiner Recherche darzustellen, die ich seit einem Jahrzehnt ausübe. Ich möchte aber das Recherchierte nicht nur als solches darstellen. Und so halte ich an dem Begriff der Erinnerung fest, da mir gerade der Kontext der jüdischen Religion, die die Geschichte der Juden prägt, eine wesentliche Dimension des Erinnerns aufstößt. Ich bleibe mir dabei bewusst, dass mein Versuch, das Erinnern, wie es die Bibel mit dem hebräischen Wort zakar ausdrückt, analog anzuwenden, nur abbildhaft das wiedergeben kann, was Erinnerung bzw. Gedenken für Israel bedeutet hat und bedeutet. Seit der Bibel gewinnt Erinnerung für Israel immer dort seinen besonderen Stellenwert, wo es auch um die Erinnerung an die Katastrophen des Volkes geht. Aber das Entscheidende dabei ist immer, dass Erinnerung dann doch niemals um ihrer selbst willen geschieht. Vielmehr erinnert sich Israel (z. B. an die Sklaverei in Ägypten, an die Tempelzerstörung oder an die babylonische Gefangenschaft) immer deshalb, weil sich Gott seines Volkes erinnert hat und es bis auf den Tag tut (so z. B. im Exodus, in der Rückführung in das Heilige Land oder in der Gabe der Verheißung des Messias). Erinnerung gewinnt besonders nach dem Untergang des zweiten Tempels den Stellenwert eines Imperativs: erinnere dich heißt zurück zu blicken, damit die Zukunft gelingen kann! Auch wenn uns als Christen in Liturgie und Theologie das Erinnern nicht fremd ist, so fällt uns das Verständnis der Tiefe des Erinnerns im jüdischen Denken schwer - es ist ein "Geheimnis der Erlösung", das da Erinnerung im Sinne der jüdischen Tradition heißt.

Erinnerung beinhaltet für mich eine doppelte Aufgabe: zum einen geht es darum, zu lernen, was Erinnerung in der alltäglichen Gestaltung des Lebens heißt. Und zum anderen gibt es die Aufgabe, Erinnerung so zu gestalten, dass wir nicht Mythen bilden, in denen das Geschehene womöglich einfach als Vergangenes angesehen wird oder durch die wir fatalistisch die Notwendigkeit des Geschehens hinnehmen. Erinnerung heißt für mich zum dritten auch Aufklärung: Aufklärung sowohl der historischen Fakten wie der eigenen Tradition, die meine persönliche Sicht der Dinge prägt. Somit fordert Erinnerung die Verbindung des objektivierenden Betrachtens mit dem Aufdecken der subjektiven Position in diesem Geschehen. Als Ziel solcher Aufklärung wünsche ich mir die persönliche Öffnung auf eine Weltgestaltung des Heute und Morgens angesichts einer nicht verdrängten, nicht „abgetanen“ Vergangenheit. Erinnerung ist für mich daher nicht nur eine

Annäherungen an die Geschichte des Landjudentums in Trittenheim Von Christoph Schmitt, Calw

innerjüdische Aufgabe. Sie betrifft alle, seien sie Angehörige der Generation der Täter und Opfer oder deren Nachgeborene.

Auch die Rede vom "eigenen Fremden" erlaubt eine kritische Bemerkung. Zunächst gilt auch hier: Meine Betrachtung des Judentums erfolgt immer als jemand, der ein Außenstehender ist. Als solcher sehe ich das Betrachtete anfänglich in einer Weise, die mit dem Begriff "fremd" charakterisiert werden kann. Meine von christlicher Tradition geprägte Sichtweise kann ich bei allem Bemühen der Annäherung an das Judentum nicht übersteigen. Jedoch fordert mich die Aufgabe der Erinnerung heraus, diese Grenzerfahrung zu machen. Dabei kann ich für mich eine klarere Identität meiner selbst gewinnen, die auf der differenzierenden Wahrnehmung der Wesensmerkmale meiner Tradition und der Tradition des Judentums basiert. Ich eigen mir das Fremde an, ohne es seiner Fremdheit berauben zu wollen, d. h. meine Annäherung verwischt nicht die Eigenheit des Judentums und will es schon gar nicht vereinnahmen. So eröffnet sich mir aber die Möglichkeit zum Dialog.

Das "eigene Fremde" weist mich aber auch über meine persönliche Perspektive hinaus: Die Geschichte des Judentums in unserem Raum, dem auch die Bibliographie ihr Augenmerk widmet, zeigt, dass das jüdische Leben kontinuierlich als etwas Fremdes wahrgenommen wurde. Selten sind die Fäll, in denen man ihm mit positivem Interesse begegnete, häufig hingegen begegnen wir in geschichtlichen Dokumenten Zeugnissen von Diskriminierung, offener Ablehnung, Unterdrückung und letztlich auch von Vernichtung. Dabei zeigt die Bibliographie auch, dass erst die Shoah, teilweise manches Jahrzehnt danach, Anstoß gab zur geschichtlichen Erinnerung. Und dabei kristallisierte sich heraus, dass das als Fremdes wahrgenommene einstige jüdische Leben in den Orten unseres Raumes ein integraler Bestandteil der Ortsgeschichte geworden war. Das Leben jüdischer Menschen war nicht identisch mit dem seiner christlich geprägten Umwelt. Die Andersartigkeit seiner konkreten Ausprägung hob es immer ab, führte immer zur Wahrnehmung als eines fremden Anteils im Eigenen. Und besonders im Landjudentum zeigte sich, dass es am längsten seine Verbundenheit mit der Tradition am besten aufrecht erhielt.2 Nichtsdestotrotz muss man festhalten: was in seinen abweichenden Formen als fremd wahrgenommen wurde ist doch durch das Leben dieser Lebensgestaltung in seiner Umwelt auch Teil der eigenen Geschichte geworden, Teil der Geschichte der bis heute weiterexistierenden Orte. Von einem solchen "fremden" Teil einer Geschichte eines Ortes möchte ich Ihnen nachfolgend einige Einblicke geben.

Annäherungen

Der Untertitel des Vortrages spricht von Annäherungen an die Geschichte des Landjudentums in Trittenheim. Solche Annäherungen sind, wenn ich sie im Kontext des Erinnerns verstehen will, nicht ohne den biographischen Bezug zu verstehen. Als Kind des Moselortes Trittenheim aufgewachsen entstand der erste, noch unbewusste Kontakt mit der Geschichte jüdischer Menschen zu einer Zeit, als die Flurbereinigung zu Beginn der siebziger Jahre noch nicht all jene tiefen Gräben aufgefüllt hatte, die die Landschaft ursprünglich prägten. Als kleiner Junge konnte ich hin und wieder zur gemeindeeigenen Müllhalde mitfahren, wie sie damals üblich waren. Sie lag im Distrikt des zweiten Wäldchensgraben und kaum hundert Meter von ihr entfernt sah ich eine Areal, das anders als alle anderen mit einer hohen Hecke umgeben war, die den Blick dahinter versperrte. Man sah nur, dass hier ein paar Bäume und Gras wuchs, Doch das war zur damaligen Zeit nichts Außergewöhnliches. Erst nach der Flurbereinigung mit der Einebnung von Tälern und Hügeln war die Voraussetzung für eine durchgehende Bepflanzung mit Weingärten geschaffen. Nun hob sich plötzlich diese Parzelle deutlich ab: Inmitten eines Meeres von Rebstöcken erhebt sich seither weithin sichtbar eine viereckiges Areal, umgeben von einer Hecke und im Inneren von Gras bewachsen. Jetzt wurde das Interesse geweckt, zu erfahren, was es damit auf sich habe - doch über viele Jahre hin blieben die antworten unbefriedigend. Es handle sich um einen Friedhof von Leuten, die schon lange nicht mehr da seien, war die erste Antwort. Nach und nach reihten sich Anekdoten,

Begegnungen, aber auch kurze Berichte über die Reichspogromnacht an - wobei letzteres Thema offensichtlich nur knapp angerissen werden wollte. Später erfuhr ich, dass ein heute als Restaurant genutztes Gebäude früher das jüdische Gotteshaus bildete. Mein eigenes Studium führte mich an die näher an die Geschichte des Judentums heran und im Laufe der Jahre gab ich mich nicht mehr zufrieden mit dem, was man mir erzählen konnte oder wollte. So begann vor einem Jahrzehnt meine Suche nach Quellen und Informationen, die eine Annäherung an die Geschichte der Juden Trittenheims ermöglichen. So begann ich den unvollendeten Versuch, Erinnerungen zu formulieren an die Geschichte des eigenen Ortes, in dem Menschen als Juden einerseits ein irgendwie fremdes Element geblieben waren und zugleich nicht mehr daraus wegzudenken sind.

Abbruch

Mit der Erwähnung der Synagoge machen wir einen zeitlich großen Sprung an den Abbruch der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft in Trittenheim. Durch die erzwungene Emigration sank die Zahl der Trittenheimer Juden seit 1933 von 32 auf 5 Personen im Jahre 1938; die jüdische Kultusgemeinde Trittenheims wurde 1937 schließlich in die Synagogengemeinde Neumagen- Niederemmel integriert. Die kleine Zahl von Zurückgebliebenen konnte die Synagoge nicht mehr nutzen und auch die Unterhaltung des Gebäudes wäre auf Dauer finanziell nicht tragbar gewesen. So kam das Gebäude in private Hand und blieb vor einem Anschlag während des Reichspogroms am 9. November 1938 verschont. Durch bauliche Maßnahmen erfuhr das Gebäude eine tiefgreifende Umgestaltung, so dass von seiner ursprünglichen Architektur nur noch Spuren wahrzunehmen sind.

Die Zersplitterung und Radikalisierung in der politischen Landschaft der Weimarer Republik brachte den Nationalsozialisten 1933 den Durchbruch zu ihrer 13jährigen totalitären Herrschaft. Wählten 1930 erstmals 10% die NSDAP, so verlor das Zentrum mit der bis dahin größten Anhängerschaft 1933 die Mehrheit seiner Anhänger an die Nationalsozialisten. Wie in ganz Deutschland begann schon kurz nach der Machtergreifung auch in Trittenheim die Repression der jüdischen Mitbürger. Die Schulchronik bemerkt zum 1. April 1933 lapidar: "Der Boykott der jüdischen Geschäfte am 1.4. wegen Greuelnachrichten im Ausland wurde auch hier durchgeführt.

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S.A.-Leute der NSDAP standen Posten."
"Reichskristallnacht" im November 1938, dann findet sich zu diesem Pogrom keine einzige Zeile. Was in dieser Nacht stattfand hielt hingegen der Ortspfarrer Johann Linden persönlich fest. Linden, ein überzeugter Anhänger des Zentrums und Gegner des Nationalsozialismus, scheute sich nicht, seine Abneigung gegenüber dem "Dritten Reich" öffentlich kundzutun und nahm dafür auch Gestapo-Verhöre und eine mehrmonatige Ausweisung in Kauf. Unter anderem wurde ihm von örtlichen Parteigenossen vorgehalten, er kaufe bei den jüdischen Fleischern ein und er habe "ein jüdisches Mädchen mit in den Katholischen Religionsunterricht bestellt und es dort den Kindern als Vorbild hin[ge]stellt". Lindens Antwort lautete, er werde, "solange in Trittenheim kein Arischer Metzger ist, [...] Fleischwaren bei den jüdischen Metzgern" kaufen. Zu dem zweiten Vorwurf bemerkte er: "das sehr intelligente Schulkind Ruth Koppel bleibt manchmal in meiner Religionsstunde - 2. Stunde vormittags - und nimmt dann regen Anteil an dem Unterricht, oft mehr als die Kinder arischer Abstammung. Ich habe sie noch nie zum Religionsunterricht bestellt. Die

26 jüdischen Kinder bleiben ja auch in dem Bibelunterricht, der von den Lehrpersonen erteilt wird" .

Darin war u.a. zu lesen, dass der

Fragt man das gleiche Zeitzeugnis nach der sogenannten

Bemerkenswert für jene Jahre ist auch folgendes. Mit Beginn des nationalsozialistischen Regimes

wurden auch auf kommunaler Ebene die Gemeinderäte einem parteitreuen Bürgermeister

unterstellt. Nun ergab es sich, dass der eingesetzte nationalsozialistische Bürgermeister schon nach

kurzem auf sein Amt verzichtete. Hier sahen nun die Brüder Bonem die Gelegenheit, bei der

Neuwahl die Wahl eines weiteren Nationalsozialisten zu verhindern. Adolf Bonem, der mit seiner

Familie nach Chicago flüchten konnte, dokumentierte dieses Unterfangen in einem 1946 in

Trittenheim abgefassten Schreiben, das er dem seinerzeit von ihm unterstützten

Bürgermeisterkandidaten als Entlastungszeugnis ausstellte. "Herr L. Ahl ist nur auf Anraten von

uns Gebr. Bonem und einigen besseren Bürgern von Trittenheim in die Partei eingetreten, damit die

Juden und die besseren Katholiken von Trittenheim vor dieser Hitlerbande geschützt sein sollten.

Was auch in Wirklichkeit nachdem [er] Gemeindevorsteher von Trittenheim war, der Fall gewesen

ist, denn wenn [er] nicht Oberhaupt der Civilgemeinde Trittenheim gewesen wäre, hätten die Juden

von Trittenheim nebst unser[m] Herr Pastor Linden schon im Jahre 1933 durch diese Bande den

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Kopf verloren"
Gegenliebe stieß, macht beispielsweise das Verhalten Ahls im November 1935 deutlich: auf die Wohnung des Viehhändlers Isidor Koppels in der Ettenstraße gab es nachts einen massiven Übergriff durch Parteigenossen und nicht organisierte Einwohner. Man eilt zum Bürgermeister, der später festhält: "... ich ging sofort mit und habe diese in Schutz genommen. Als ich an das Haus des Juden kam fand ich Fenster und Türen kaput[t], ich habe die Tat gerügt und laut über die Übeltäter geschimpft. Weil ich nun das Vorgehen gegen die Juden verurteilt und diese in Schutz genommen habe, wurde ich von den Nachbaren des Juden tätlich angegriffen, ich habe natürlich abgewehrt und

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die Judenfamilie in ein anderes Haus geleitet".
Ahl schließlich im Mai 1939 amtsenthoben; ein angesetztes Parteigerichtsverfahren wurde durch den Krieg ausgesetzt. Zur fast gleichen Zeit wurde Pfarrer Linden aus dem Regierungsbezirk ausgewiesen. Die Begründung lautete, er habe 'öffentliche Ruhe und Sicherheit' durch seine eindeutigen Predigten und seine abneigende Haltung zum Staat gefährdet. Während Linden Ende September wieder zurückkehren konnte, trat an die Stelle des abgesetzten Ortsbürgermeisters ein linientreuer Nazi.

Adolf Bonem und seiner Familie gelang die Flucht nach Chicago; ebenso konnten Julius Samuel

und die Familien Bermann und Isidor Koppel in den USA Zuflucht finden. Andere glaubten durch

ihren Wegzug nach Trier in der Anonymität dem wachsenden antisemitischen Druck ausweichen zu

können. Die Eltern Carl Samuels hingegen, der über Luxemburg nach den Vereinigten Staaten

geflohen war, waren in Trittenheim geblieben. Als Sergeant der US-Army nach Deutschland

zurückgekehrt, beabsichtigte er seinen Geburtsort zu besuchen. Von Heidelberg aus erkundigte sich

C. Samuel im September 1945 brieflich in Trittenheim nach dem Schicksal seiner Eltern. Die

Antwort lautete: "[...] Seine [recte wohl: Deine] Eltern waren die letzten Juden die noch hier waren,

diese sind im Jahr 1943 mit Sammeltransport von Trier abgefahren, wohin weis man nicht, man hat

gesagt die kämen nach Polen, nie wieder hat man was gehört von Ihnen, es hat den Leuten im Dorf

leid getan als Sie fort mussten, man hat sich immer nur lobend über Deine Eltern ausgesprochen,

nur die wenigen Nazi-Lumpen haben mit höhnischem Lächeln die Judenverfolgung bekleidet

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Seine Eltern gehörten zu den Leidtragenden des Pogroms vom 9. November 1938. Pfarrer Linden erinnert mit seinem Eintrag an diese Ereignisse: "Am 9. Nov. 1938 wurde in ganz Deutschland eine Zerstörungsaktion gegen jüdische Häuser, Geschäfte und Synagogen ausgeübt, die den in anderen Ländern vorgekommenen kommunistischen Greueltaten in gar nichts nachstehen. An den folgenden Tagen wurden sie in den Tagesblättern als spontane Kundgebungen bezeichnet, aber jeder anständige Leser empfand diese Bezeichnung als eine bodenlos gemeine Heuchelei. Denn jeder

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Abend, desselben Tages in ganz Deutschland möglich war. Hier in Trittenheim war es besonders schlimm. Im Hause des Juden Baermann [Spielesstraße]

wurden sämtliche Fenster, Türen, Schränke, Tische usw. vollständig zerschlagen, sämtliche Wäsche und Stoffe wurden verschleppt und gestohlen; in der Nacht wurden die Reste der zertrümmerten

[recte: begleitet]."

. Dass das Verhalten des Bürgermeisters beim Ortsgruppenleiter nicht auf

weiß, wie diese 'spontane' Action am selben

Wegen dieses und anderer ähnlicher Fälle wurde

Möbel an der Mosel unter dem Johlen des Trittenheimer Gesocks verbrannt. Ähnlich war es in dem 2. jüdischen Hause im Hofe. Am andern Morgen lag der Hausgang voll von zerschlagenen Möbeln, von Glas und Porzellan, Bilder und Einrichtungsgegenständen. Greuel der Verwüstung. Einige Trittenheimer Christen zeichneten sich besonders aus, deren Namen ich absichtlich verschweigen will. Aber die anständigen Leute werden sie behalten im Gedächtnis und mit Fingern auf sie zeigen, wenn Gott sie heimsucht. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass das Gebot der Nächstenliebe von katholischen Christen in so furchtbarer Weise mißachtet würde. Ein Glück für die Juden war es, dass die meisten schon vorher nach Amerika ausgewandert und ihre Häuser in Besitz anderer Trittenheimer übergegangen waren, sonst wäre gegen sie in derselben Weise gewütet worden. Gottes Ordale zeigen sich übrigens schon auffallend. [...] In dieses beschämende Kapitel gehört auch Folgendes. [...] Bei den Juden, die jetzt noch hier sind war auch ein alter Mann, Bonem, von circa 80 Jahren. Ihm wurde alles bei der bek[annten]. Action zerschlagen. Die anderen sorgten für ihn, soweit sie nach Verlust ihrer Habe konnten. Schließlich wollten die Stammesgenossen auch fort zu ihren Angehörigen nach Amerika. Er sollte hier bleiben. Das nahm sich der alte Mann in seiner hilflosen u. wahrhaft bedürftigen Lage so zu Herzen, dass er am 24. Dez. 1938 in die halb zugefrorene Mosel lief. Am 27.12. wurde er auf dem jüdischen Kirchhofe beigesetzt. Einige Juden, ein Totengräber und zwei Fuhrleute gaben ihm das Geleite. Welch eine furchtbare Anklage wird dieser Jude bei Gott wider seine und seiner Stammesgenossen Bedränger und Verfolger erheben!" Jakob Bonem, einst gemeindlicher Aufseher für die neu errichtete Brücke und Brückengeldeinnehmer, wurde somit der letzte Jude, der ein Grab auf dem jüdischen Friedhof in Trittenheim erhalten sollten; es sollte jedoch niemand mehr da sein, der ihm eine Grabstele errichten würde.

Das Leben der Geflüchteten ging nicht bruchlos weiter, auch wenn sie nach Jahren in den USA zu einem gewissen Wohlstand kamen. Zerbrochen hingegen wurde das Leben jener Frauen und Männer, die als Trittenheimer das Opfer der Shoah wurden. Ihnen sei dieser Beitrag zur Erinnerung gewidmet, damit ihre Geschichte als Teil der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Trittenheim nicht vergessen werde:

Therese Samuel, verh. Kaufmann (*1869), Ivan Koppel (*1922), Sigismond Koppel (*1890), Marianne Samuel geb. Jakobs (*1879), Moses Samuel (*1877), Paul Samuel (*1910), Leon Samuel (*1909).

Erinnern wollte ich mit dem hier vorgetragenen an die Geschichte jüdischer Menschen in einem Moselort, damit ein Teil ihrer Geschichte nicht noch fremder wird, als er durch das lange Schweigen und langsame Vergessen schon geworden war. Die Erinnerung an die abgebrochene Geschichte der Juden Trittenheims möchte diesen fremden Teil meiner / unserer eigenen geschichtlichen Identität näher bringen. Die letzten sichtbaren Zeichen jüdischen Lebens bewusst wahrnehmen und im Gedächtnis lebendig halten, sich der eigenen Geschichte auch mit all ihren schwierigen und angenehmen Ereignissen stellen - dies ist ein Wunsch an uns und besonders an die Jugend, damit wir aus Erinnerungen heraus Zukunft toleranter und dialogfähiger gestalten.

1

Der nachfolgende Text wurde als Referat gehalten bei der Buchpräsentation "Bibliographie zur Geschichte der

Juden im Kreis Bernkastel-Wittlich" in der Synagoge in Wittlich am 15. Juni 2000. Der Vortragsstil wurde für die

Veröffentlichung beibehalten; an zwei Stellen ist die Druckfassung gegenüber dem Vortrag gekürzt, da hierzu vom Vf.

in den Kreisjahrbüchern 1998 (Jüdischer Friedhof) und 1997 (Synagoge) entsprechende Ausführungen vorliegen.

2 3

Vgl. zum Begriff des Landjudentums Kasper-Holtkotte, Juden im Aufbruch, S. 6.

Cilli Kasper-Holtkotte, Juden im Aufbruch. Zur Sozialgescichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um

1800. (Forschungen zur Geschichte der Juden; A 3). Hannover 1996.

4

Vgl. Kasper-Holtkotte, Juden im Aufbruch, S. 32.40.235;

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5

'Erhebung über die Zahl der Juden im Saardep. 1808' (StAKo 276, Nr. 624 Bl. 36). In: Dokumentation zur

Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945. Band 5: Statistische

Materialien zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung (W. Knopp), Koblenz 1975, [=Veröffentlichungen der

Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz; 16] - S. 25.

6
schon vor dem Bau der Synagoge in einem Privathaus ein Gebetsraum eingerichtet worden war.

7

Jüdische Bevölkerung in Gemeinden des Regierungsbezirks Trier in den Jahren 1843, 1895 und 1925/1927. In:

Dieser scheint jedoch im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts offensichtlich erreicht worden zu sein, da

Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945.

Band 5: Statistische Materialien zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung (W. Knopp), Koblenz 1975,

[=Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz; 16] - S. 132.

8
Behandlung unterlagen.

9

Vgl. dazu z. B. Juden in Trier. Katalog einer Ausstellung von Stadtarchiv und Stadtbibliohtke Trier März -

Das Fehlen der Taxierung mag darauf zurückzuführen sein, dass Juden einer gesonderten fiskalischen

November 1988, unter Mitwirkung von Horst Mühleisen und Bernhard Simon bearb. von Reiner Nolden, Trier 1988,

[=Ausstellungskataloge Trierer Bibliotheken; 15].

10

Man kann nur annehmen, dass er im Bereich des kurfürstlichen Herrschaftsbereiches wohnte, da spätere

katasteramtliche Eintragungen des 19. Jahrhunderts eine gewisse Konzentration jüdischen Immobilienbesitzes in

diesem Bereich nahelegen.

11

Die Judenordnung vom 17.01.1681 enthielt z. B. die Bestimmungen, dass eine Niederlassung im

Kurfürstentum nur mit kurfürstlichem Geleit erfolgen durfte, dass sie an christlichen Festtagen ihr Haus nicht verlassen

durften, dass Juden und Christen nicht unter einem Dach wohnen durften, Beschränkungen der Erwerbstätigkeit und die

Art der Ausführung. Die Judenordnung vom 10.5.1723 enthielt überdies noch die Bestimmungen der Begrenzung der

Anzahl jüdischer Familien auf 165, die Bindung der Geleitverleihung an einen Besitz von 400 bis 500 Taler, das Verbot

des Tragens kostbarer Kleider, der Abstand der Wohnhäuser zur Kirche, die Festsetzung des Zinsfußes auf 5% u.a.m.

12

Die kurfürstlich-erzbischöfliche trierische Judenordnungen forderte nicht nur das Verbleiben der Juden in ihren

Häusern an Sonn- und Festtagen, sondern schrieb auch einen entsprechenden Abstand ihrer Wohnungen zur Kirche vor

- wie weit sich dies für kleinere Orte realsieren ließ, bleibt zu fragen. Zu den traditionsgeschichtlichen Bezügen dieser

Verbote vgl. Kirche und Synagoge I, bes. Kap. 3 zum vierten Laterankonzil von 1215.

13 14

Geboren in Trier, lebte zeitweise in Köln.

Abgedruckt in Heinrich Milz, Aus dem Gemeindeleben zu Trittenheim a. d. Mosel im Jahre 1716. In: TrChr NF 8 (1912) S. 158-160, kursive Hervorhebung von mir.

15 16 17

Pfarrarchiv Trittenheim o. Signatur.
StATR 21/0998.
Vgl. 'Pfarr-Acten, Sendbeschlüße und Correspondenz', S. 211 (1855). Liehl führt zum Beleg kirchenrechtliche

Stellen und Kommentierungen sowie einschlägige Edikte vergangener Jahrhunderte an.

18 19

Zitiert nach Kirche und Synagoge I, S. 248f.

Vgl. hierzu und zum folgenden Peter Pulzer, Die Wiederkehr des alten Hasses. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. III: Umstrittene Integration 1871-1918, München 1997, S. 193ff.

20 21

1879 war in Berlin die "Antisemiten-Liga" unter dem Journalisten Wilh. Marr begründet worden.

Nähere Ausführungen hierzu finden sich in Chr. Schmitt, Ein verwaister "Guter Ort" - Trittenheims jüdischer Friedhof 1897-1997. In: Jahrbuch 1998 für den Kreis Bernkastel-Wittlich. Monschau 1997. - S. 252-259.

22

Von den neun für das Jahr 1830 genannten Steuerpflichtigen weisen nur drei etwas mehr als 30 Taler

Gesamtsteuerschuld auf, während zwei weitere zwischen 20 und 10 Talern und die übrigen mit Beträgen teils weit unter

10 Talern bemessen wurden (vgl. LHKo Best. 655, 178 Nr. 47).

23

Ein sehr bewegendes Zeugnis hierfür ist ein Brief des Ortspfarrers, in dem er von "wenigstens fünfzig Familien

: vier Juden Familien mitgerechnet : unseres circa 190 Häuser starken Ortes" berichtet, die "sich theils schon vier, theils

drei oder zwei Monate ohne Brot, Kartoffeln und jedes andere Nahrungsmittel [befinden], und haben weder Geld, noch

Credit, um sich durch Ankauf etwas verschaffen zu können" (Pfarrarchiv Trittenheim).

24

Näheres Ausführungen hierzu finden sich in Chr. Schmitt, Ein "Gotteshaus zum Gebete für Alle". Die

Synagoge der jüdischen Gemeinde Trittenheim von 1856. In: Jahrbuch 1997 für den Kreis Bernkastel-Wittlich.

Monschau 1996. - S. 99-103.

25 26 27

Schulchronik Trittenheim Bd. I, S. 79.
Pfarrchronik II, S. 31f.
An dieser Stelle sei der Tochter von L. Ahl herzlich für die Einsichtnahme in die diesbezüglichen Dokumente

und Korrespondenzen gedankt.

28

Aus einem Bericht des Bürgermeisters vom Juli 1945, der durch einen Brief des Ortsgruppenleiters von 1937

bestätigt wird.

29 30 31

Aus einem maschinenschriftlichen Schreiben eines Trittenheimers vom 9.12.1945 an Carl Samuel. Unterstreichungen im Original!
Pfarrchronik II S. 43-44.

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